2012.11.12. Jüdische Mitbürger in Gunzenhausen

Ein Auftrag zur Wachsamkeit
Gunzenhäuser gedachten der ehemaligen jüdischen Mitbürger
GUNZENHAUSEN (tell) - Der Schabbat gilt im Judentum als der Ruhetag in der Woche. Er beginnt mit dem Sonnenuntergang am Freitagabend und endet am folgenden Abend. Auf einen Freitagabend fiel in diesem Jahr auch das Gedenken an die ehemalige jüdische Gemeinde in Gunzenhausen und die Reichspogromnacht 1938. Daher lag es für die Organisatoren der evangelischen Kirchengemeinde und der katholischen Pfarrgemeinde nahe, den Schabbat mit seinen Traditionen in den Mittelpunkt dieser Erinnerungsstunde zu stellen. Zu den Klängen von Klezmer-Musik trafen sich dazu zahlreiche Teilnehmer in der Schalterhalle der Sparkasse.
„Schabbat heißt Ruhe" erläuterte Pfarrer i. R. Hartmut Kühnel den Gästen nach der Begrüßung durch das stellvertretende Vorstandsmitglied der Bank, Dieter Riehl, und forderte sie auf, „den quälenden Terminkalender in den Herzen und Köpfen beiseite zu legen und Ruhe zu finden". Schüler der Klasse 9CM der Stephani-Mittelschule mit ihrer Lehrerin Emmi Hetzner, die sich seit Jahren mit der Geschichte der Gunzenhäuser Juden beschäftigt, erinnerten daran, dass dort, wo jetzt die Sparkasse ihren Platz hat, einst die Volksschule stand. „Von hier aus hätten wir unsere jüdischen Freunde sehen können", machten die Jugendlichen mit Verweis auf die benachbarte Synagoge samt Schule deutlich. Das jüdische Gotteshaus könnte heute sein 130-jähriges Bestehen feiern, doch die schrecklichen Ereignisse am 9.November 1938 beendeten die Geschichte der jüdischen Bürger in Gunzenhausen. „Wir können hier heute keine jüdischen Freunde mehr kennenlernen", so die Schüler.
Auch Bürgermeister Joachim Federschmidt sprach von dem großen Verlust, den sich die Bürger in der Altmühlstadt selbst zugefügt hätten. Schon im 13. Jahrhundert habe es hier Juden gegeben, was leider damals schon durch Übergriffe belegt sei. Die Juden seien von großer wirtschaftlicher Bedeutung für die Stadt gewesen, die an den Schnittstellen wichtiger Handelsstraßen lag. Es gab eine Talmudschule und einen jüdischen Friedhof.
Ende des 19. Jahrhunderts zählte die jüdische Gemeinde rund 300 Personen, weshalb der Bau einer neuen Synagoge nötig wurde, erklärte Federschmidt weiter. Nach dem Ersten Weltkrieg jedoch nahmen die antisemitischen Tendenzen zu, die sich in der frühen Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe verschärften und die schließlich im sogenannten „blutigen Palmsonntag" am 25. März 1934 gipfelten. Im Herbst 1938 lebten nur noch 55 Juden in Gunzenhausen, die mit ansehen mussten, wie ihr Hab und Gut in der Reichspogromnacht zerstört worden ist. Die Synagoge war davon nicht betroffen, da sie kurz vorher in den Besitz der Stadt übergegangen war. Die Zwiebeltürme allerdings ließ der damalige Bürgermeister unter dem Jubel vieler Bürger niederreißen. Im Januar 1939 verließen die letzten drei jüdischen Bürger die Stadt.
Nach jetzigem Forschungsstand verloren laut Federschmidt 93 jüdische Menschen aus Gunzenhausen ihr Leben in der NS-Zeit. Der Rathauschef appellierte an alle, dies als „Auftrag und Mahnung zu verstehen und wachsam faschistischen Tendenzen gegenüber zu sein." Die Bürger sollten Zivilcourage und Stärke zeigen und den Anfängen wehren.
In der Ruhe Kraft schöpfen
Auf die Gemeinsamkeiten jüdischer und christlicher Gottesdienste ging der katholische Stadtpfarrer Christian Konecny ein. Die christlichen Traditionen haben demnach ihre Wurzeln im Judentum, schließlich waren auch Jesus und seine Jünger Juden und besuchten die Synagoge. Wie Pfarrer Kühnel hinzufügte, geschahen die meisten Heilungen durch Jesus an einem Schabbat in der Synagoge, wodurch dieser Tag geheiligt worden sei. Kühnel zitierte außerdem aus Texten von Lea Fleischmann, Lehrerin und Schriftstellerin, die 1947 als Kind jüdischer Eltern in Hessen geboren, 1979 nach Israel ausgewandert ist, weil sie nicht mehr in Deutschland leben konnte. Und er ließ die Zuhörer teilnehmen an den Schabbat-Erinnerungen aus der Kindheit von Bella Chagall, der Frau des Malers Marc Chagall, die die barmherzige Atmosphäre in ihrer Familie und der Gemeinde spürbar machte.
Den Grundgedanken des Schabbats erläuterte Pfarrer Dr. Tobias Eißler vom Diakonissen-Mutterhaus Hensoltshöhe. Hinter diesem Ruhetag, den Gott selbst nach der Vollendung der Schöpfung eingelegt hat, stecke die Idee, dass Ruhe die physische und geistige Kraft des Menschen wiederherstellt. An diesem siebten Tag solle die Seele nicht von Alltagsproblemen versklavt und von Terminen gehetzt werden.
Vom typischen Schabbat-Brot, das an diesem Tag auf den Tisch kam, verteilten die Schüler und Schülerinnen kleine Kostproben an die Gäste, bevor der kleine Chor der Kantorei ein Werk von Felix Mendelssohn Bartholdy erklingen ließ. In einem Lichterzug ging es anschließend zum Brunnen am Hafnermarkt, wo Pfarrer Kühnel an die Schändung der Synagoge erinnerte, mit der die über 500-jährige Geschichte der Juden brutal beendet wurde, „als aus Nachbarn, Freunden und Kollegen über Nacht gehasste Menschen wurden". Er gedachte den 93 jüdischen Gunzenhäusern, die in den Konzentrationslagern ermordet wurden: „Wir haben in ihnen den Bruder, die Schwester nicht erkannt." Sein Traum sei es, dass irgendwann wieder Juden in Gunzenhausen in Frieden arbeiten und leben können; „und wir zusammen Schabbat und Sonntag feiern können." Abschließend, nach den Worten des Dankes an alle, die ihren Beitrag für diesen Abend geleistet haben, lud er noch dazu ein, die Ausstellung in der Schalterhalle, die für das Gedenken aufgestellt worden war, in den nächsten Tagen zu besuchen.
Quelle: Altmühl-Bote, Ausgabe 12.November
Horst Kuhn
Öffentlichkeitsreferent
Angeführt von den Jugendlichen begab sich ein stiller Lichterzug zum Brunnen am Hafnermarkt um dort an die Schändung der Synagoge im Jahre 1938 zu erinnern. Foto: Ellinger